Eltern(teil) drinnen, Kinder draußen – wenn Eltern-Kind-Beziehungen durch Mauern getrennt sind

Die Fachtagung beleuchtet, welche Gesichtspunkte aus pädagogischer, psychologischer und rechtlicher Sicht im Strafverfahren und während der Haft relevant sind.

Münster (lwl). Wenn ein Elternteil ins Gefängnis muss, verändert sich für Kinder schlagartig der Alltag. In NRW mit seinen knapp 19.000 Haftplätzen betrifft das viele Familien, allein in den Haftanstalten Bielefeld- Brackwede, Willich I und Willch II, die Modellanstalten der Landesfachstelle Netzwerk Kinder von Inhaftierten NRW sind, waren im 2. Halbjahr 2025 fast 1.400 Kinder unter 18 Jahren von der Inhaftierung eines Elternteils betroffen. Welche Folgen die Inhaftierung eines Elternteils für Kinder hat und wie Behörden, Jugendhilfe und Justiz ihre Zusammenarbeit kindgerechter gestalten können, stand im Zentrum einer Fachtagung, zu der die Landesfachstelle am Dienstag (16.12.) ins LWL-Landeshaus nach Münster eingeladen hat. Die Landesfachstelle ist ein Kooperationsprojekt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) und des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) in Zusammenarbeit mit dem NRW-Justiz- und dem NRW-Familienministerium.

„Diese Situation führt bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen zu erheblichen emotionalen und psychosozialen sowie in vielen Fällen auch zu wirtschaftlichen Belastungen und reißt nicht selten tiefe Wunden in familiäre Strukturen. Und das vor, während und auch nach der Inhaftierung. Gleichzeitig sind diese Kinder und Jugendlichen bisher kaum im Fokus der Fach-Öffentlichkeit“, sagte Dr. Georg Lunemann, der Direktor des LWL. „Aus kinderrechtlicher Perspektive gilt: Kinder haben das unveräußerliche Recht auf den Umgang mit beiden Elternteilen, auch wenn diese inhaftiert sind. Das ist in der UN-Kinderrechtskonvention klar festgehalten.“
Dieses Recht des Kindes ist ein Auftrag sowohl an die Jugendhilfe als auch an den Justizvollzug, die Kinder und ihre Familien zu unterstützen. Hierfür ist eine enge Kooperation der Akteure in den unterschiedlichen Systemen notwendig. Lunemann wies auf das Konzept der „Familiensensiblen Vollzugsgestaltung in NRW“ hin, dass seit dem 1. Januar 2020 in Kraft ist und darauf abzielt, die sozialen Kontaktmöglichkeiten von Kindern zu ihren inhaftierten Eltern weiter zu verbessern. „Doch es gibt noch viel zu tun, um die bestehenden Angebote weiter auszubauen und die Systeme effektiver miteinander zu vernetzen.“

Um den Kindern der Inhaftierten in der besonderen Lebenssituation gelingende Aufwachsensbedingungen zu ermöglichen, hebt auch Ministerin Josefine Paul die Bedeutung von Kooperation und Vernetzung hervor: „Kinder von Inhaftierten tragen oft viel schwerere Lasten, als wir von außen sehen. Sie erleben Einsamkeit, Schuldgefühle und Vorurteile. Doch kein Kind darf wegen der Entscheidungen seiner Eltern benachteiligt werden. Auch die Kinder von Inhaftierten haben das Recht auf gleiche Chancen, auf Bildung und Unterstützung. Wir lassen sie nicht zurück. Jugendhilfe und Justizvollzug sind hier in einer Verantwortungsgemeinschaft, um kindgerechte und familiensensible Konzepte im und außerhalb des Strafvollzuges umzusetzen, sowie daran mitzuwirken, Kinderrechte zu verwirklichen. Dazu gehört auch das Recht auf Umgang mit beiden Elternteilen. In diesem Zusammenhang leistet die Landesfachstelle Netzwerk Kinder von Inhaftierten NRW einen nachhaltigen und wertvollen Beitrag, für den ich Ihnen meinen herzlichen Dank ausspreche.“

Dr. Anne Künster vom Institut für Kindheit und Entwicklung betonte in ihrem Vortrag die Bedeutung von Wahrhaftigkeit gegenüber dem Kind, was die Inhaftierung des Vaters oder der Mutter betreffe, da Kinder spürten, dass etwas nicht stimme. Sie bräuchten Klarheit, auch wenn die Realität belastend sei, sowie eine offene Kommunikation. Außerdem seien regelmäßige Kontakte für die Eltern-Kind-Beziehung wichtig. Je jünger das Kind sei, desto kürzer müssten die Abstände zwischen den Kontakten sein, um die Eltern-Kind-Bindung aufrechtzuerhalten.

Thomas Wendland verdeutlichte den Wert der Begegnungs- und Kontaktmöglichkeiten von Kindern mit ihrem inhaftierten Eltern(teil) aus Kindersicht, indem er O-Töne von Kindern präsentierte, die an den Vater-Kind Gruppen des Projektes „Freiräume“ der Diakonie für Bielefeld in der JVA Bielefeld- Brackwede teilnehmen. Zwei Beispiele: „Dann guck mit mir einfach ein paar Bilder von Papi an, dann bin ich auch traurig, und dann will ich das wieder vergessen. Und dann ich seh‘ ich meinen Papa ja trotzdem wieder“, so eines der Kinder. Ein anderes Kind sagt: „Mein größter Wunsch wäre, wenn ich mit meinem Papa einmal Fußball spielen könnte, er war da noch nie dabei. Und er weiß gar nicht, wie gut ich spielen kann.“

In interdisziplinär zusammengesetzten Gruppen diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Anschluss an jeden Fachvortrag über Lösungsansätze. Dabei standen folgende Fragen im Mitteipunkt: Wie funktioniert Familie unter den Bedingungen des Strafvollzugs? Wie wichtig ist der Kontakt für die Eltern-Kind-Beziehung und die kindliche Entwicklung? Wie kann die Kooperation zwischen Justizvollzug und Jugendhilfe gelingen?

Hintergrundinformationen:

Die Landesfachstelle Netzwerk Kinder von Inhaftierten NRW ist ein Kooperationsprojekt des LWL-Landesjugendamt Westfalen und des LVR-Landesjugendamt Rheinland in Zusammenarbeit mit den zuständigen Ministerien MdJ und MKJFGFI, wird von der Auridis Stiftung gefördert und setzt sich für die strukturelle Verbesserung der Versorgungslage der Kinder von Inhaftierten ein.