Die andere Form von Stubenarrest

KipsFam fragt: Frank Beese vom Netzwerk Kinder von Inhaftierten MV

Mehr als 100.000 Kinder in Deutschland wachsen mit einem Elternteil hinter Gittern auf. Viele von ihnen wünschen sich Kontakt zu ihren Vätern (nur etwa sechs Prozent der Inhaftierten sind Frauen). In vielen Anstalten mangelt es jedoch bisher an Möglichkeiten zur Umsetzung. Frank Beese von der Landeskoordinierungsstelle Kinder von Inhaftierten MV erklärt, wie es gelingen kann.

Mit welchen Herausforderungen sind Kinder konfrontiert, deren Eltern ins Gefängnis müssen?

Eine JVA ist kein idealer Ort der Begegnung. Inhaftierte werden von der Justiz in erster Linie nicht als Eltern gesehen, sondern eben als Straftäter. Sie haben eine begrenzte Zeit im Monat, um Besuch zu empfangen. Die Regelungen ermöglichen häufig keinen kindgerechten Umgang: Besuchsräume voller Tische und fremder Menschen, man muss leise sein, seine Sachen abgeben, wird beobachtet. Das ist kein Setting für Kinder; es wirkt befremdlich und beängstigend.

Die Kinder sind bestraft, ohne eine Straftat begangen zu haben und gewissermaßen mitinhaftiert. Allerdings fühlt sich niemand für sie zuständig: Die Justiz ist für die Inhaftierten da, die Kinder- und Jugendhilfe für die, die aktiv Unterstützung suchen. Wir möchten dafür sensibilisieren, dass Einrichtungen Verantwortung für die Kinder und Angehörigen übernehmen. Familie ist ein Resozialisierungsfaktor für die Väter. Die Haftzeit wiegt schwerer, wenn zuhause jemand auf einen wartet.

Wie möchte das Netzwerk unterstützen?

Einige Inhaftierte haben als Kinder zum Beispiel Gewalt oder die Inhaftierung des eigenen Vaters erlebt (wir lernen z.T. Gefangene in dritter Generation kennen). Sie haben häufig nicht erfahren, was ein guter Vater ist. Auch deswegen brauchen sie Zeit allein mit ihren Kindern. Dafür ist eine kindgerechte Atmosphäre notwendig: Spielsachen, Beschäftigungsmaterial und Besuchszeiten mit dem Kind, die die Väter allein gestalten können, auch ohne die Mutter. Um das umzusetzen, holen wir die Mitarbeitenden vor Ort mit ins Boot.

Unser gemeinsames Ziel ist es, bis 2025 in jeder Anstalt in MV eine*n Familienbeauftragte*n zu haben und einen freien Träger, der betroffene Familien betreut. Wir verstehen uns als Schnittstelle zwischen Justiz und Jugendhilfe.

In einigen Regionen klappt es schon sehr gut. An der JVA Waldeck wird beispielsweise durch das Maskottchen Robin Fuchs Gefängnis kindgerecht erklärt; Väter können ihren Kindern Karten schreiben, Fotos und Geschichten aufnehmen. Es gibt Familienfeste, Extrabesuche und Vätergruppen.

Wissen alle betroffenen Kinder, dass ihre Eltern in Haft sind?

Viele Eltern haben Angst davor, was passiert, wenn das Kind erfährt, dass Papa in Wirklichkeit gar nicht auf Montage, sondern im Knast ist. Väter schämen sich, weil sie etwas falsch gemacht haben. Dabei haben Kinder oft ganz praktische Fragen: Bekommst du was zu essen? Gehst du arbeiten? Was machst du, wenn du mal zum Arzt musst? Es ist wichtig, alles mit dem Kind altersgerecht zu besprechen. Beispielsweise gibt es die Idee von inhaftierten Vätern, Haft als eine andere Form von Stubenarrest zu erklären: Auch Erwachsene machen Fehler, die Konsequenzen haben.

Was kann außerdem helfen?

Für viele betroffenen Familien ist die Inhaftierungssituation schambehaftet und es besteht eine große Gefahr der Ausgrenzung. Väter werden zum Teil ganz plötzlich aus der Familie gerissen, die dann ohne Unterstützung dasteht. Wir möchten die Angst vor dem System nehmen und bieten Angehörigen sowohl vor Ort als auch online und anonym Beratungen und Chats an. In MV sind die Wege vom Wohnort zur Haftanstalt oft sehr lang und ohne eigenes Auto kaum zu bewerkstelligen – schon gar nicht für Kinder. Wir helfen in besonderen Fällen beim Transport und vermitteln Kontakte, gehen mit in die Jugendämter usw.

Im November laden wir zum ersten Mal betroffene Familie gemeinsam mit der Gefängnisseelsorge zu einem Wochenende nach Graal-Müritz ein, um Erfahrungen auszutauschen.

Ist es immer sinnvoll, Kontakt zum inhaftierten Vater zu halten?

Es gibt ein gesetzlich verankertes Kinderrecht auf Umgang mit den Eltern – der Ausnahmefall Gefängnis ist jedoch nicht enthalten. Das Interesse des Kindes muss aber immer gehört werden, auch in schwierigen Fällen. Angehörige sind ja zum Teil froh, wenn der gewalttätige Vater endlich hinter Gitter kommt etc. – aber niemand fragt die Kinder nach ihren Bedürfnissen. Extremes Beispiel: Ein Vater hat Menschen getötet, darunter auch die Mutter des Kindes. Trotzdem kann es sein, dass das Kind Kontakt wünscht. Das muss bei allen Bedenken berücksichtigt werden – Kinder müssen mitbestimmen.