Das Netzwerk Kinder von Inhaftierten hat zum 20.03.2025 die Social-Media-Plattform X (vormals Twitter) verlassen. Seit der Übernahme durch Elon Musk im Oktober 2022 hat sich X zunehmend zu einer Plattform entwickelt, auf der Hassrede, Desinformation und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit verstärkt auftreten.

Als Netzwerk Kinder von Inhaftierten setzen wir uns für die Rechte und Bedürfnisse von Kindern inhaftierter Eltern ein – eine oft übersehene und besonders vulnerable Gruppe. Die Entwicklungen auf X stehen im Widerspruch zu unseren Grundwerten von Respekt, sachlicher Information und konstruktivem Dialog. Ein weiteres Verbleien auf der Plattform entspricht daher nicht unserer Arbeit und unserem Auftrag. 

Weiterhin aktiv auf LinkedIn, Instagram und Facebook

Das Netzwerk Kinder von Inhaftierten bleibt weiterhin auf LinkedIn, Instagram und Facebook aktiv, um über unsere Arbeit zu informieren, Fachkräfte zu vernetzen und für die Rechte von Kindern inhaftierter Eltern einzutreten.

Folgt uns weiterhin auf unseren anderen Kanälen – wir freuen uns auf den Austausch! 💚

Die Landesfachstelle Netzwerk Kinder von Inhaftierten NRW hat neues Infomaterial veröffentlicht, um von Inhaftierung betroffene Familien und Fachkräfte bestmöglich zu unterstützen.

Die Flyer und Broschüren geben wertvolle Orientierung und praktische Hinweise für Eltern, Kinder sowie Beratungsstellen und Fachkräfte. Ab sofort stehen folgende Materialien zum Download und auf Anfrage als Druckexemplare zur Verfügung:

Zur Landesfachstelle NRW Übersicht aller Materialien Weitere Flyer und Broschüren des Netzwerk KvI

Die neue Ausgabe von “unsere jugend” ist erschienen – diesmal mit dem Schwerpunktthema Unter dem Radar: Die Versorgung von Kindern Inhaftierter in Deutschland. In enger Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Kinder von Inhaftierten entstanden, beleuchtet sie die oft übersehene Situation von Kindern, deren Eltern in Haft sind. Fachbeiträge, praxisnahe Einblicke und kritische Stellungnahmen zeigen, welche Unterstützungslücken bestehen und welche innovativen Ansätze helfen können.

Als unabhängige Fachzeitschrift für Sozialpädagogik bietet unsere jugend wertvolle Impulse für Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe, Studierende, Wissenschaftler:innen sowie Entscheidungsträger:innen. Die Ausgabe kann ab sofort bestellt werden – ein wichtiger Beitrag zur Debatte über soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit für betroffene Kinder.

Inhaltsverzeichnis:

  • Editorial

    Hilde Kugler, Niklas Helsper

  • Kinder von Inhaftierten – Unter dem Zuständigkeitsradar von Strafvollzug und Jugendhilfe?

    Hilde Kugler, Ben Spöler

  • Kontaktmöglichkeiten zwischen Kindern und inhaftierten Eltern. Eine Befragung zur Praxis im Strafvollzug

    Judith Feige

  • „Ich bin ja gar nicht die Einzige, wo der Papa in Haft ist“ – Forschungsbericht über die Lebenslagen von Kindern inhaftierter Eltern(teile) und die Evaluation familienorientierter Unterstützungsangebote

    Clara Sartingen, Niklas Helsper

  • ZaunGast: Ein Angebot für kleine Helden, ihre Angehörigen und inhaftierten Elternteile

    Bärbel Bardey, Christin Neutzling, Wiebke Urbanski

  • Das Erasmus+ Projekt „UpFamilies“. Europäische Zusammenarbeit für eine bessere Unterstützung von Familienangehörigen Inhaftierter

    Andrada Istrate, Rhianon Williams, Ana Rita Lourenço, Margarita Defingou, Ourania Xylouri, Szuroka Bela, Alfonso Andreo Almansa

Editorial:

In einer Welt, die von Schlagzeilen über Straftaten und Gerichtsurteile dominiert wird, geraten diejenigen leicht in Vergessenheit, die weder Täter:innen noch juristische Akteur:innen sind, sondern unsichtbare Leidtragende: die Kinder von Inhaftierten. Rund 100.000 Kinder in Deutschland sind jährlich von der Inhaftierung eines Elternteils betroffen – eine alarmierende Zahl, die unsere Aufmerksamkeit verdient.

Für diese Kinder bedeutet die Haft des Elternteils mehr als den schmerzhaften Verlust einer Bezugsperson. Es ist eine Zäsur, die soziale, wirtschaftliche und psychische Folgen mit sich bringt: Stigmatisierung im Umfeld, Schuldgefühle und Zukunftsängste.

Unser Themenschwerpunkt befasst sich mit evidenzbasierten Ansätzen zur Unterstützung betroffener Familien. Hilde Kugler und Ben Spöler diskutieren in ihrem Artikel die systemischen Herausforderungen und Lösungsansätze im Umgang mit Kindern von Inhaftierten, insbesondere durch die Schaffung interinstitutioneller Kooperationen zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Justizvollzug. Judith Feige liefert in ihrer Untersuchung fundierte Einblicke in die rechtlichen Rahmenbedingungen und Kontaktmöglichkeiten zwischen Kindern und ihren inhaftierten Eltern. Clara Sartingen und Niklas Helsper stellen in ihrem Artikel zentrale Erkenntnisse ihrer Forschung zu den Lebenslagen von Kindern inhaftierter Eltern vor und zeigen, wie familienorientierte Unterstützungsangebote Resilienz fördern können. Bärbel Bardey, Christin Neutzling und Wiebke Urbanski beleuchten das Modellprojekt „ZaunGast“, das durch kindgerechte Besuchsformate familiäre Bindungen im Strafvollzug stärkt. Andrada Istrate et al. präsentieren das Erasmus+-Projekt „UpFamilies“, das europaweit digitale Unterstützungsstrukturen für Familien mit inhaftierten Angehörigen etabliert.

In diesen Artikeln wird eine zentrale Herausforderung deutlich: die Schaffung verbindlicher Strukturen, die eine nachhaltige Unterstützung sichern. Dies erfordert die Kooperation von Justiz, Kinder- und Jugendhilfe und Bildungseinrichtungen sowie ein gesellschaftliches Umdenken. Kinder von Inhaftierten dürfen nicht länger unsichtbar bleiben.

Der Deutsche Bundestag wurde am 23.02.2025 neu gewählt. Angesichts der bevorstehenden Koalitionsverhandlungen hat die BAG-S (Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe) fünf Forderungen formuliert. Die BAG-S ist davon überzeugt, dass eine humane und rationale Sozial- und Kriminalpolitik wesentlich zur sozialen Sicherheit und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beiträgt. Sie wendet sich gegen Tendenzen zur Schwächung des Rechts- und Sozialstaats und fordern Reformen im Justiz- und Sozialwesen unter dem Aspekt einer rationalen, evidenzbasierten Kriminalpolitik. In Forderung 3 geht es um Kinder von Inhaftierten.

Kinder von inhaftierten Eltern besser unterstützen

In Deutschland sind ca. 100.000 Kinder und Jugendliche von der Inhaftierung eines Elternteils betroffen. Soweit es dem Kindeswohl entspricht, ist ihnen ein begleiteter Zugang zu ihren Eltern zu ermöglichen. Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes hat Deutschland aufgefordert, dies umzusetzen.

Wir fordern, bundesweite Hilfe- und Beratungsangebote für Kinder von inhaftierten Eltern auszubauen.

Info-circled Info-circled Alle Forderungen der BAG-S zu den Koalitionsverhandlungen 2025

Die Vater-Kind-Gruppe des Treffpunkt e.V. in der JVA Nürnberg blickt auf 20 Jahre beeindruckender Arbeit zurück! In einem Interview geben Stephanie Schmidt und Beate Wölfel Einblicke in die Geschichte und die kontinuierliche Entwicklung des Angebotes. Sie schildern, wie das Projekt 2004 ins Leben gerufen wurde, um Kindern von inhaftierten Vätern trotz der schwierigen Umstände eine Möglichkeit zu geben, wertvolle Zeit mit ihren Vätern zu verbringen. Dabei berichten sie von Momenten des Wiedersehens, von den organisatorischen Herausforderungen im Gefängnisalltag und von der besonderen Kooperation mit der JVA Nürnberg, die die Umsetzung dieses Angebots erst ermöglicht.

Stephanie Schmidt und Beate Wölfel vom Treffpunkt e.V.

Besonders berührend ist dabei die Geschichte eines fünfjährigen Jungen, der nach langer Zeit seinen Vater wiedersieht und sich nicht mehr an dessen Stimme erinnern konnte – ein eindrückliches Beispiel dafür, welche Bedeutung die Vater-Kind-Gruppe für die betroffenen Familien hat. Das Projekt setzt darauf, die Vaterrolle auch während der Haft zu stärken, die Erziehungsverantwortung zu fördern und die Bindung für die Zeit nach der Entlassung aufrechtzuerhalten.

Darüber hinaus werfen die Interviewpartnerinnen einen Blick in die Zukunft: Neue kreative Ideen, wie sportliche Aktivitäten in der JVA, könnten das Angebot bereichern und weiterentwickeln. Das Interview zeigt, wie durch Vertrauen, Engagement und Zusammenarbeit mit der JVA Nürnberg eine Initiative entstehen konnte, die Familien spürbar unterstützt und die Resozialisierung fördert.

Erfahren Sie mehr über die Geschichte, die Herausforderungen und die Ansätze der Vater-Kind-Gruppe in diesem inspirierenden Interview!

In der Podcast-Folge „Hilde Kugler, wer kümmert sich um die Kinder von Inhaftierten“ von KontaktAufnahme – der Podcast des Bildungszentrums Nürnberg spricht Hilde Kugler, Gründerin des Netzwerks „Kinder von Inhaftierten“ (KvI), über ihre langjährige Arbeit und die Herausforderungen, denen sich Kinder und Familien von Inhaftierten stellen müssen. Seit über 30 Jahren setzt sie sich mit dem Treffpunkt e.V. in Nürnberg für die Unterstützung dieser oft übersehenen Gruppe ein. Aus dieser Arbeit heraus entstand ein bundesweites Netzwerk, das heute eine zentrale Rolle in der Beratung, Prävention und Förderung familienorientierter Ansätze spielt.

Veröffentlicht am: 17. Oktober 2024, KontaktAufnahme – der Podcast des Bildungszentrums
Moderation: Hannah Diemer | Im Gespräch: Hilde Kugler

Hilde Kugler

Ein besonders wichtiges Anliegen ist es, die Perspektive von Kindern sichtbar zu machen, deren Eltern im Strafvollzug sind. Kugler erklärt, wie Materialien wie der kindgerechte Flyer „Papa muss ins Gefängnis. Was jetzt?“ Kindern helfen, Antworten auf Fragen wie „Hat Papa mich noch lieb?“ zu finden und Orientierung in schwierigen Zeiten zu erhalten. Die Förderung familiärer Bindungen, so Kugler, sei nicht nur entscheidend für die Kinder, sondern auch für die erfolgreiche Resozialisierung von Inhaftierten.

Die Podcast-Folge widmet sich weiteren zentralen Themen: der Rolle von Angehörigen im Strafvollzug, Gewaltprävention und Opferhilfe sowie den gesellschaftlichen Herausforderungen, die mit diesem sensiblen Thema verbunden sind. Hilde Kugler bringt eine neue Perspektive in die Diskussion um Strafvollzug und Familienarbeit ein und zeigt Lösungsansätze, wie Kinder und Angehörige besser unterstützt werden können.

Hören Sie jetzt rein:

Die Inhaftierung des Partners führt oftmals zu einer großen Unsicherheit und wirft viele Fragen auf. In dieser herausfordernden Zeit ist es entscheidend, dass Angehörige von Inhaftierten die Unterstützung und Informationen erhalten, die sie benötigen. Deshalb hat die Landesfachstelle Netzwerk Kinder von Inhaftierten Bayern die Broschüre „Partner in Haft. Was nun?“ veröffentlicht. Sie gibt eine erste Orientierung, wenn ein Angehöriger inhaftiert wird.

Breite Zugänglichkeit durch Übersetzungen

Hier finden Sie die Sprachenübersicht der Broschüre "Partner in Haft. Was nun?" zum Download.Nicht alle Inhaftierten und ihre Angehörigen sprechen oder verstehen Deutsch, was in einer ohnehin schwierigen Zeit zusätzliche Hürden aufwirft. Oft fehlen ihnen wichtige Informationen, die ihnen helfen könnten, mit der Situation besser umzugehen. Deshalb wurde die Broschüre in mehrere Sprachen übersetzt, um möglichst vielen Menschen den Zugang zu erleichtern. Dies berücksichtigt die Vielfalt der betroffenen Familien und gewährleistet, dass die Unterstützung dort ankommt, wo sie gebraucht wird. Kommunikation und Verständnis sind entscheidend, um die Belastungen gemeinsam zu bewältigen.



Die Broschüre ist in folgenden Sprachen verfügbar:

Das Netzwerk Kinder von Inhaftierten ist bestrebt, Barrieren abzubauen und möglichst viele Menschen zu erreichen – unabhängig von ihrer Sprache.

Online-Verfügbarkeit für einfache Nutzung

Um sicherzustellen, dass diese wichtigen Informationen so vielen Menschen wie möglich zugänglich sind, ist die Broschüre „Partner in Haft“ unter www.netzwerk-kvi.de/haft verfügbar. Hier findet man die verschiedenen Sprachen zur Auswahl. Neben dem Online-Artikel in der jeweiligen Sprache besteht auch die Möglichkeit zum Download. So kann man sich die Broschüre ganz einfach selbst ausdrucken und bei Bedarf auch an Interessierte oder Betroffene weitergeben.

Lesen Sie auch: Papa muss ins Gefängnis. Was jetzt?


Im Rahmen der Aktionstage Gefängnis 2024 sprach das Netzwerk KvI mit Judith Feige vom Deutschen Institut für Menschenrechte über Kinderrechte und die Situation von Kindern inhaftierter Eltern. Das Interview beleuchtet Themen wie die Wahrung der Menschenwürde, die Rechte der Kinder auf Kontakt und Mitbestimmung sowie die bestehenden Herausforderungen im Strafvollzugssystem.

 

Frau Feige, das diesjährige Motto der Aktionstage Gefängnis lautet „Würde, Mitbestimmung, Teilhabe“. Vor diesem Hintergrund: Wie bewerten Sie die aktuelle Situation der Kinder von Inhaftierten in Deutschland, insbesondere aus kinderrechtlicher Perspektive?

Die Menschenwürde und damit natürlich auch die Würde des Kindes steht zu Beginn des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Sie wird gleich in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 festgeschrieben, mit der die Vereinten Nationen den Prozess der internationalen Normierung von Menschenrechtsstandards einleiten.

Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes der Vereinten Nationen von 1989 und damit die Kinderrechte fußen auf diesem menschenrechtlichen Grundgedanken. Die Kinderrechte verstehen Kinder und Jugendliche als eigenständige Persönlichkeiten mit eigenen Rechten, mit eigener Würde und eigenen Bedarfen. Im Zentrum der UN-Kinderrechtskonvention, die eine Vielzahl von verbindlichen Schutz-, Fürsorge- und Beteiligungsrechten vorsieht, steht die vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls. Kinder, deren Eltern von einer Haftstrafe betroffen sind, befinden sich in einer besonders verletzlichen Lebenslage. Für die gesamte Familie ist Haft oft verbunden mit sozialem Ausschluss und finanziellen Einschränkungen. Dazu kommt der „Verlust“ einer wichtigen Bezugsperson, denn ab der Inhaftierung ist ein Kontakt – wenn überhaupt – nur noch begrenzt möglich.

Wie gut Kinder die Haftstrafe eines Elternteils bewältigen, hängt maßgeblich von der Stabilität ihrer übrigen familiären Beziehungen, ihrem sozialen Umfeld sowie ihrer psychischen und physischen Verfassung ab. Auch die Ausstattung und Abläufe in den Gefängnissen rund um die unterschiedlichen Kontaktmöglichkeiten zum inhaftierten Elternteil spielen eine entscheidende Rolle. In unserer Arbeit in der Monitoring-Stelle haben wir Projekte kennengelernt, die zeigen, dass ein regelmäßiger, qualitativ hochwertiger Kontakt den Kindern helfen kann, ihre Entwicklung und Resilienz zu fördern. Dieser regelmäßige und qualitativ hochwertige Kontakt ist in Deutschland aktuell jedoch noch nicht für alle Kinder mit inhaftierten Eltern gegeben.

Kinder von Inhaftierten sind oft die unsichtbaren Leidtragenden der Haft ihrer Eltern. Inwieweit werden die Rechte und das Wohl dieser Kinder im aktuellen Strafvollzugssystem berücksichtigt? Wo sehen Sie die größten Defizite?

Die Besuchszeiten variieren von Bundesland zu Bundesland: Ob Kinder ihren inhaftierten Elternteil im Monat eine Stunde, zwei Stunden, vier Stunden oder länger sehen können, hängt davon ab, in welchem Bundesland ihr Vater oder ihre Mutter inhaftiert ist.

Aus einer kinderrechtlichen Perspektive gesprochen, ist das ein gravierendes Defizit, denn so gelten die Kinderrechte nicht für jedes Kind überall in Deutschland auf gleiche Weise.

Es ist auch ein Defizit, dass die Besuchsrechte in Deutschland den Inhaftierten zustehen. Es sollte ein gesondertes Besuchsrecht für Kinder geben, und zwar in allen Straf- und Justizvollzugsgesetzen der Länder, das einen Besuch mindestens einmal die Woche ermöglicht – für kleinere Kinder häufiger – und zusätzlich noch alternative Kommunikationsmöglichkeiten umfasst. Dazu gehört zum Beispiel Telefon und Videotelefonie. Übrigens fordert dies auch der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes. Dieser hat 2022 eine Reihe von Empfehlungen Kinder inhaftierter Eltern betreffend an Deutschland ausgesprochen.

Neben den Defiziten im Zugang zum Besuchsrecht von Kindern ist es wichtig, einen Blick auf die Durchführung des Besuchs- und Kontakts zu werfen. Denn auch das Besuchsumfeld in den Gefängnissen in Deutschland variiert stark. Manche Justizvollzugsanstalten halten kindgerechte Besuchsräume mit Spieleecken oder gar Apartments für Wochenendbesuche vor, in anderen sehen Kinder ihre Eltern in den normalen Besuchsräumen mit vielen weiteren Menschen. Informationen in kindgerechter Sprache sind in den Gefängnissen oft nur vereinzelt vorhanden und Justizbeamt*innen oder andere Fachkräfte wissen nur wenig über die Situation der Kinder. Es hat sich hier in den letzten Jahren zwar schon einiges getan, unsere Untersuchung 2023 hat aber gezeigt, dass es nach wir vor Handlungsbedarf gibt.

Die UN-Kinderrechtskonvention (Artikel 9) garantiert Kindern das Recht auf regelmäßigen Kontakt zu ihren Eltern, es sei denn, dies widerspricht ihrem Wohl. Wie gut ist dieses Recht für Kinder von Inhaftierten in Deutschland durchgesetzt und wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?

Jedes Kind hat gemäß Artikel 9 Absatz 3 UN-KRK das Recht auf eine regelmäßige persönliche Beziehung und unmittelbaren Kontakt zu seinen Eltern, soweit dies nicht dem Kindeswohl widerspricht. Das gilt auch und insbesondere dann, wenn die Trennung aufgrund einer staatlichen Entscheidung entstand – wie beispielsweise der Inhaftierung eines Elternteils. In Deutschland werden die Bedarfe und Rechte von Kindern inhaftierter Eltern bereits seit längerem auf Ebene der Justizbehörden sowie Bundes- und Landesebene diskutiert.

Für uns als Monitoring-Stelle ist es wichtig, dass Bund, Länder und die Justizvollzugsanstalten ihrer Staatenpflicht aus der UN-Kinderrechtskonvention nachkommen und einen familiensensiblen Vollzug gestalten, der das Wohl des Kindes aus Artikel 3 UN-KRK berücksichtigt. Damit einhergehen sollen Mindeststandards für die Häufigkeit von Besuchen von Kindern – also nach kinderrechtlichen Vorgaben mindestens einmal wöchentlich, für kleinere Kinder auch häufiger. Dazu kommen kindgerechte Besuchsräume, die Möglichkeit zu Körperkontakt und Sport- sowie Spieleangebote während der Besuchszeiten – und zwar in jeder Justizvollzugsanstalt. Ein gutes Beispiel ist Nordrhein-Westfalen mit seinen Regelungen zum familiensensiblen Strafvollzug.

Einige Justizvollzugsanstalten arbeiten bereits eng mit Seelsorge, Initiativen und Verbänden zusammen, die die Angehörigen von Inhaftierten begleiten und viel Erfahrung im Umgang mit Kindern haben. Leider stellen wir immer wieder fest und es wird uns berichtet, dass die Kinder- und Jugendhilfe meist noch nicht sehr aktiv auf betroffene Kinder und ihre Familien zugeht. Der Bund könnte hier zu einer Klärung beitragen.

Kinder inhaftierter Eltern haben selten die Möglichkeit, bei Entscheidungen über den Kontakt zu ihren Eltern mitzureden. Wie könnte Mitbestimmung für diese Kinder besser integriert werden und welche strukturellen Änderungen wären nötig?

Die vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls (best interests of the child) aus Artikel 3 Absatz 1 UN-KRK ist untrennbar verbunden mit dem Recht auf Gehör und Berücksichtigung der Meinung des Kindes (Beteiligung) aus Artikel 12 UN-KRK. Diese beiden Artikel gehören zusammen und sie sind in Bezug aufeinander entstanden. Um Entscheidungen im besten Interesse des Kindes herbeizuführen, ist eine aktive Einbindung des Willens und der Wünsche des Kindes zwingend erforderlich. Damit rückt das Kind in den Mittelpunkt. Um dies im Kontext Strafvollzug zu berücksichtigen wäre ein Paradigmenwechsel nötig: Dann müsste bereits bei der Bemessung des Strafmaßes – also während des Strafprozesses – geprüft werden, ob die angeklagte Person Kinder hat und wie sich das Strafmaß auf die Kinder auswirken würde. Also Kinder müssten schon sehr viel früher als jetzt in ihren Rechten gesehen werden. Der UN-Ausschuss empfiehlt übrigens auch Haftalternativen zu prüfen. Zudem sollten Kinder bei der Ausgestaltung der späteren Besuchssettings und Kontaktmöglichkeiten mit einbezogen werden. Das gilt übrigens schon für Kinder, die noch nicht sprechen können. Sie zeigen sehr häufig über Gestik und Mimik welche Bedürfnisse sie haben oder wenn etwas nicht passt. Darüber hinaus machen hier die Empfehlungen des Europarats von 2018 zu Kindern inhaftierter Eltern sehr deutliche Vorgaben und damit eine Orientierung, wenn es um das Wohl und die Beteiligung von Kindern inhaftierter Eltern geht – eine Empfehlung, zu der sich in Deutschland sowohl von der JFMK als auch von der JUMIKO bekannt haben.

Die gesellschaftliche Stigmatisierung von Kindern inhaftierter Eltern ist ein großes Problem. Welche Ansätze sehen Sie, um das Stigma zu bekämpfen und diesen Kindern mehr gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen?

Der COPING-Studie von 2012 zufolge kann eine Verzahnung von Hilfssystemen entscheidend dazu beitragen, Kinder von inhaftierten Eltern psychisch zu entlasten. Zudem wäre es sehr wichtig, dass alle Fachkräfte, die mit Kindern und Jugendlichen mit Eltern in Haft zu tun haben, noch stärker über Kinderrechte informiert werden. Das würde helfen, zu sensibilisieren und einer Stigmatisierung und Diskriminierung von betroffenen Kindern und Familien entgegenzuwirken. Dafür gibt es schon eine Reihe von Info-Material – übrigens auch für betroffene Kinder direkt. Diese Materialien sollten unbedingt noch bekannter gemacht werden. Unsere Online-Abfrage von 2023 hat gezeigt, dass in etwa der Hälfte der Justizvollzugsanstalten, die wir befragt haben, Kinder- und Familienbeauftragte gibt. Dies sollte flächendeckend in jedem Gefängnis etabliert werden, damit Standards geschaffen, weiterentwickelt und überprüft werden können. Nicht zu unterschätzen ist, dass es Personen gibt, die für die Belange von Kindern und ihren Familien ansprechbar sind – und zwar vor Ort und ganz niedrigschwellig.

Können Sie uns Beispiele nennen, wo in Deutschland bereits Fortschritte in Bezug auf die Würde und Teilhabe von Kindern inhaftierter Eltern gemacht wurden? Welche Ansätze oder Projekte könnten anderen Bundesländern als Vorbild dienen?

In Deutschland setzen sich zahlreiche Projekte und Initiativen für die Rechte und Bedarfe von Kindern inhaftierter Eltern ein und leisten vielseitige Unterstützung. Es fällt mir ganz schwer, hier nur einige nennen zu können, denn diese Projekte und auch die Menschen dahinter, bieten ganz wertvolle Arbeit an wie zum Beispiel Besuchsbegleitung für die Familienangehörigen oder sie richten Spielgruppen und Feriencamps aus. Einen Überblick über aktuelle Initiativen gibt das bundesweite Netzwerk Kinder von Inhaftierten (KvI) auf seiner Internetseite, mit zusätzlichen Informationen direkt für Kinder. Die Internetplattform Juki-Online von Treffpunkt e.V. Nürnberg stellt eine Reihe von kindgerechten Materialien rund um die Inhaftierung eines Elternteils zur Verfügung.

Dem Netzwerk KvI ist es darüber hinaus gelungen, in sechs Bundesländern ein Strukturprojekt zu initiieren und über neu eingerichtete Landesfachstellen den Ausbau weiterer Angebote anzustoßen.

Zum Abschluss: Welche konkreten Schritte erhoffen Sie sich von der Politik, um die Lebenssituation von Kindern inhaftierter Eltern zu verbessern? Was muss sich kurzfristig und langfristig ändern?

Die Forderung, Kinderrechte innerhalb des Strafvollzugs zu berücksichtigen, mag aus vollzugspraktischer Sicht nachrangig erscheinen. Aus der Pflicht des Staates, die UN-KRK umzusetzen, folgt jedoch eine Verpflichtung für staatliche Akteure, eine Schlechterstellung von Kindern, deren Eltern inhaftiert sind, so weit wie möglich zu vermeiden.

Die Umsetzung der Kinderrechte, und hier besonders das Recht auf regelmäßigen und persönlichen Umgang mit beiden Elternteilen, der in einem an den Kinderrechten orientierten Setting stattfindet, liegt in der Verantwortung von Bund und Ländern.

Das soll kurzfristig flächendeckend umgesetzt werden. Auch die Kooperation und Verantwortung von Justiz sowie Familie und Soziales sollte sich kurzfristig bereits stark ändern, denn nur so kann die Situation von Kindern mit Eltern in Haft verbessert werden. Es müssen also alle ihre Verantwortungen ernst nehmen und zum Wohl von Kindern angehen!

Aktionstage Gefängnis Deutsches Institut für Menschenrechte

Nach ihrem eigenen, preisgekrönten Drehbuch gelang Chiara Fleischhacker eine authentische und klischeefreie Milieustudie voller Kraft, Hoffnung und Zärtlichkeit. Neuentdeckung Emma Nova brilliert in der Hauptrolle an der Seite des nicht minder überzeugenden Paul Wollin. Die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) verlieh VENA das Prädikat „besonders wertvoll“.

Inhalt

Jenny liebt ihren Freund Bolle, mit dem sie ein Kind erwartet. Was für andere das größte Glück bedeutet, löst in Jenny ambivalente Gefühle aus, denn das Leben hat ihr zuvor viel zugemutet. Sie ist mit der Justiz und dem Jugendamt aneinandergeraten und ihre Beziehung mit Bolle leidet zunehmend unter der Drogenabhängigkeit der beiden. Als ihnen die Familienhebamme Marla zugewiesen wird, reagiert Jenny zunächst wenig begeistert. Doch Marla verurteilt sie nicht und schafft es mit stoischer Geduld, ihr Vertrauen zu gewinnen. Je mehr Jenny Marla in ihr Leben lässt, desto mehr begreift sie, dass sie Verantwortung übernehmen muss – für ihre Vergangenheit, ihre Zukunft und das neue Leben, das in ihr heranwächst.

Hintergrund

VENA ist ein Film über die strukturelle Benachteiligung von – vorrangig nicht privilegierten – Frauen innerhalb unseres Gesellschafts- und Justizsystems. Es ist ein Film über die Notwendigkeit von Familienhilfe, von Hilfen für Frauen in Notlagen und über den notwendigen Schutz der Mutter-Kind-Bindung auch in belastenden Situationen, über das Spannungsfeld nachhaltiger, sinnvoller vs. traumatisierender Strafen. VENA zeigt das gesamte Dilemma, was es bedeutet aus dysfunktionalen Strukturen ausbrechen zu wollen, sich aus der Sucht zu befreien, aus persönlichen Krisen, der Einsamkeit, Kraft aus dem Mutterwerden zu schöpfen, aber immer wieder zurückgeworfen zu werden durch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.

VENA erzählt kraftvoll die Geschichte einer jungen Frau, deren erdrückende Lebensrealität wenig Perspektiven für ihr Leben zulässt, und die regelmäßig in den Rausch flüchtet, bis sie ungewollt schwanger wird. Für ihr Baby und eine bessere Zukunft stellt sie sich mit Unterstützung ihrer Familienhebamme ihrer Sucht, muss aber trotzdem schwanger ihre Gefängnisstrafe antreten, wo sie nach der Geburt in einem Justizsystem, das nicht auf Mütter ausgelegt ist, von ihrem Baby getrennt wird… Beraten wurde der Film zahlreichen Expert*innen wie u.a. durch Hilly Škorić von Hilfreich e.V., Eric und Edith Stehfest, Hebamme Sissi Rasche, die Regisseurin recherchierte intensiv in verschiedenen JVAs im Bundesgebiet.

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Eine Trennung oder Scheidung ist für jede Familie eine herausfordernde Phase, die viele emotionale und organisatorische Aspekte mit sich bringt. Besonders belastend ist diese Situation jedoch für Kinder und Eltern, wenn ein Elternteil inhaftiert ist. Hier kommen die Beratungsangebote nach §§ 17 und 18 SGB VIII ins Spiel, die darauf abzielen, Eltern bei der Bewältigung dieser schwierigen Lebensphase zu unterstützen – unabhängig davon, ob es sich um eine Trennung aufgrund von Konflikten oder eine Inhaftierung handelt.

Beratungsanspruch für Eltern und Kinder

Nach § 17 SGB VIII haben Eltern Anspruch auf Beratung in Fragen der Partnerschaft, bei Familienkrisen, Trennung und Scheidung. Besonders bei Inhaftierung eines Elternteils kann diese Beratung entscheidend sein, um den betroffenen Eltern zu helfen, ihre jeweilige Rolle zu klären und einvernehmliche Lösungen zu finden, die eine förderliche Wahrnehmung der Elternverantwortung trotz Inhaftierung eines Elternteils ermöglichen und das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt stellen. Dabei spielt auch die Frage, wie der Kontakt zwischen Kind und inhaftiertem Elternteil im Sinne des Kindswohls aufrecht gehalten werden kann, eine wichtige Rolle. Betroffene Kinder und Jugendliche sind angemessen zu beteiligen.

Ein wichtiger Aspekt der Beratung kann auch darin bestehen, die Trennungssituation (hier: aufgrund der Inhaftierung eines Elternteils)kindgerecht zu kommunizieren. Eltern sind häufig überfordert mit der Frage: „Wie sage ich es meinem Kind, dass der Papa/die Mama im Gefängnis ist?“ Hier kann die Beratung Eltern zur Aufrichtigkeit gegenüber dem Kind ermutigen und darin unterstützen, die Inhaftierung behutsam zu vermitteln.

Begleiteter Umgang: Schutz und Unterstützung für Kinder

Der begleitete Umgang nach § 18 SGB VIII bietet Kindern von Inhaftierten eine wichtige Unterstützung. Kinder haben ein Recht auf regelmäßigen Kontakt zu ihren Eltern, selbst wenn diese inhaftiert sind – solange dies ihrem Wohl nicht widerspricht. Wenn der betreuende Elternteil aus emotionalen oder organisatorischen Gründen nicht in der Lage ist, diesen Kontakt zu ermöglichen, kann eine Begleitung durch qualifizierte Fachkräfte in Betracht kommen.

Der begleitete Umgang gibt den betroffenen Kindern die Möglichkeit, in einem geschützten und strukturierten Rahmen positive Erfahrungen mit ihrem inhaftierten Elternteil zu sammeln. Dies stärkt nicht nur die Bindung zwischen Kind und Elternteil, sondern fördert auch die emotionale Entwicklung des Kindes. Besonders bei langem oder abgebrochenem Kontakt bietet der begleitete Umgang die Chance, diesen vorsichtig wieder auf zu bauen und das Kind dabei emotional zu unterstützen.

Spezielle Herausforderungen für Fachkräfte

Das Familiensystem wird bei der Inhaftierung eines Elternteils empfindlich gestört. Durch die Zwangstrennung sind häufig die Kontaktmöglichkeiten zur Aufrechterhaltung der Beziehungen zu dem inhaftierten Elternteil erschwert. Der nicht-inhaftierte Elternteil muss sämtliche damit einhergehende Probleme psychischer, sozialer und wirtschaftlicher Ausprägung allein bewältigen, was ein hoher Stressfaktor ist. Er*Sie muss als plötzlich Alleinerziehende/r Funktionen und Rollen übernehmen, die vorher der inhaftierte Elternteil innehatte und die Erziehungsverantwortung für die unter der Inhaftierung leidenden Kinder tragen.

Die von der Inhaftierung eines Elternteils betroffenen Kinder können auf vielfältige Weise in ihrer emotionalen, kognitiven und sozialen Entwicklung beeinträchtigt werden. Daher stellt die Beratung bei Familienkrisen, Trennung und Scheidung nach § 17 SGB VIII im Kontext der Inhaftierung eines der Elternteile für die  Fachkräfte im Jugendamt eine (auch in organisatorischer Hinsicht) besondere  Herausforderung dar.

Fazit: Ein gerechtes und kindgerechtes System

Für Familien, in denen ein Elternteil inhaftiert ist, bietet die Beratung nach §§ 17 und 18 SGB VIII eine wertvolle Unterstützung. Sie hilft den Eltern, trotz schwieriger Umstände, einvernehmliche Lösungen zum Wohl ihrer Kinder zu finden. Der begleitete Umgang bietet bei Bedarf betroffenen Kindern die Möglichkeit, den Kontakt zu ihrem inhaftierten Elternteil aufrechtzuerhalten, wenn der betreuende Elternteil oder eine andere Bezugsperson nicht zur Verfügung stehen

Die Arbeitshilfe, die 2023 aktualisiert wurde, soll Fachkräften dabei helfen, diese anspruchsvolle Aufgabe mit fundierten rechtlichen und praktischen Leitlinien zu bewältigen. Sie bildet eine wichtige Grundlage, um Kindern und Eltern eine Perspektive zu geben, die über die bloße Trennung hinausgeht und das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt stellt.